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Die Proklamation wurde während der Zeremonie von Otto von Bismarck (1815–1898) verlesen

„An das Deutsche Volk!

Wir Wilhelm, von gottes gnaden König von Preußen,
nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des Deutschen Reichs die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, (…) bekunden hiermit, dass Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem Ruf (…) Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.

Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen zu Gott, dass es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewusstsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, dass dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren.

Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an siegreichen Eroberungen, sondern an den Gütern und gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung. (…)“

Quelle: Ernst Rudolf Huber (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2. Stuttgart 31986, S. 378

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„Kaiser von Deutschland“?

Otto von Bismarck (1815–1898) über die Ereignisse vor und während der Kaiserproklamation am 17. und 18. Januar 1871:
„In der Schlussberatung am 17. Januar lehnte er [König Wilhelm] die Bezeichnung Deutscher Kaiser ab und erklärte, er wolle Kaiser von Deutschland oder gar nicht Kaiser sein. (…) Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren Abschluss. (…)

Diese Sachlage veranlasste mich, am folgenden Morgen, vor der Feierlichkeit im Spiegelsaale, den Großherzog von Baden aufzusuchen als den ersten der anwesenden Fürsten, der voraussichtlich nach Verlesung der Proklamation das Wort nehmen würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu bezeichnen denke. Der Großherzog antwortete ‚als Kaiser von Deutschland, nach Befehl sr. Majestät.‘(…)

Ich war bei Verlesung der Proklamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus, dass er ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser noch auf den Kaiser von Deutschland, sondern auf den Kaiser Wilhelm ausbrachte. Se. Majestät hatte mir diesen Verlauf so übel genommen, dass er beim Herabtreten von dem erhöhten Stande der Fürsten mich, der ich allein auf dem freien Platze davor stand, ignorierte, an mir vorüberging, um den hinter mir stehenden Generälen die Hand zu bieten, und in dieser Haltung mehrere tage verharrte (…).“

Quelle: Otto von Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Mit einem Essay von Lothar Gall. Darmstadt 1998, S. 360–362